Heute Abend spielt der 1. FC Kaiserslautern im DFB-Pokalhalbfinale in München – ein Traditionsduell, das seine eigenen Geschichten geschrieben hat. Unsere Autoren Sebastian und Fabian haben die ewig junge Begegnung in ihrem Buch „111 Gründe, den 1. FC Kaiserslautern zu lieben“ mehrfach gewürdigt und erinnern zum Beispiel an ein legendäres Aufeinandertreffen im März 2002. Lest passend zum Pokal-Showdown einen Auszug aus ihrem Buch:
#65: Weil die Fans in Kaiserslautern „wilde Tiere“ sind.
Was wurde nicht schon alles geschrieben über den FCK, sein ruhmreiches Fritz-Walter-Stadion und seine frenetischen Fans. Wenn die Gegner vor einem Gastspiel in Kaiserslautern von „großem Respekt vor der Kulisse“ sprechen, ist das nichts Außergewöhnliches, sondern Normalität. Selbst die Spieler und Trainer, die zuvor noch nie einen Fuß auf den heiligen Berg gesetzt haben, scheinen ganz genau zu wissen, was sie auf dem Betze erwartet.
Besonders hitzig und emotional ist die Stimmung bei Spielen gegen besondere Gegner. Waldhof Mannheim, Mainz 05, Eintracht Frankfurt, der Karlsruher SC oder der 1. FC Saarbrücken wären da an dieser Stelle zu nennen. Doch am lautesten sind die Pfiffe auf dem Betzenberg schon immer, wenn der Rekordmeister kommt: Die Bayern. Warum die Abneigung des Lauterer Publikums gerade den Bayern gegenüber so groß ist? Das hat mehrere Gründe.
Auf der einen Seite stehen die einfachen Pfälzer Arbeiter in der Westkurve, auf der anderen Seite sitzt die noble Münchner Schickeria in der Loge. Bayern München steht für die Fans, nicht nur in Kaiserslautern seit jeher für Überheblichkeit, Arroganz und Kommerz. Besonders einer bekommt stets sein Fett weg: Der ehemalige Bayern-Manager und heutige Präsident Uli Hoeneß. Für viele ist er der Inbegriff der Überheblichkeit. Der, der mit seiner großen Geldbörse wedelnd, den kleineren Vereinen der Liga die guten Spieler wegkauft. Die einen sprechen von Kommerz, die anderen von Wettbewerb.
Standesgemäß schlägt dem FC Bayern in Kaiserslautern also eine große Antisympathie entgegen. Das beginnt nicht erst mit Anpfiff des Spiels und endet auch nicht mit dem Schlusspfiff. Am 16.03.2002 ist es mal wieder so weit. Der FCK empfängt Bayern München im Fritz-Walter-Stadion. Ausverkauftes Haus. Die Stimmung kocht. Bereits im Vorfeld hatte es einige Verbalattacken gegeben. Unter anderem hatte der damalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck gegen das Engagement der Telekom bei den Bayern gepoltert. Der Deal mit dem Telekommunikationsunternehmen versprach den Bayern bis 2008 zusätzliche Einnahmen von geschätzten 120 Millionen Euro. Der bekennende FCK-Fan Kurt Beck sprach in einem Interview mit Faz.net von „Wettbewerbsverzerrung“. Das hörte man bei den Bayern natürlich gar nicht gerne. Hoeneß kommentierte mit den Worten: „Politiker sollten sich aus der Wirtschaft raushalten. Die haben sowieso keine Ahnung“. Es war also schon vor Beginn ordentlich Feuer in der Partie.
Die sportliche Geschichte des Spiels ist schnell erzählt. In einem eher mäßigen Kick trennen sich die Roten Teufel und der FCB 0:0. Höhepunkt ist ein Foulelfmeter von Mario Basler in der ersten Halbzeit, den Bayern-Keeper Oliver Kahn parieren kann. Es ist kein Spiel für Fans von feiner Technik, sondern eher eins für Freunde von englischer Härte. Vor allem die FCK-Spieler scheinen sich von der hitzigen Atmosphäre auf dem Betzenberg anstecken zu lassen. Es folgt ein Foul nach dem anderen. Die Zuschauer pfeifen Schiedsrichter Torsten Koop bei jeder Entscheidung gegen den FCK gnadenlos aus. FCK-Trainer Andy Brehme trägt seinen Teil dazu bei, steht permanent an der Bande und gestikuliert wild in Richtung des Schiedsrichters. Irgendwann reicht es Uli Hoeneß, der zu dieser Zeit noch alle Spiele seiner Mannschaft von der Bank aus verfolgt. Er springt auf und spurtet fluchend auf den Lauterer Trainer und Ex-Bayern-Spieler Brehme zu. „Ich habe ihm gesagt, dass er sich zurückhalten soll“. Was er ihm wörtlich entgegengebrüllt hat ist leider nicht überliefert.
Doch diese Szene wurde mehrfach von der Sat1-Fußballsendung „ran“ in der Rubrik „Funny Dubbings“ synchronisiert. Dabei unterhalten sich Hoeneß und Brehme mal übers Wetter, mal über das Eiersuchen an Ostern. Herrlich!
Doch zurück zum Spiel. Es hagelt Gelbe Karten. Auf beiden Seiten jeweils drei Stück. Der Lauterer Grammozis sieht sogar Gelb-Rot. Selbst der sonst eher handzahme Ratinho schrammt nur haarscharf an einem Platzverweis vorbei. Für die Roten Teufel war das die normale Gangart bei einem Spiel gegen den haushohen Favoriten aus München. Für das Publikum genau das, was es auf dem Betzenberg sehen will. Kampf und Leidenschaft.
Der Fan-Hass auf die Bayern entlädt sich auch noch nach dem Spiel. Thorsten Fink bekommt auf dem Weg zum Mannschaftsbus eine unfreiwillige Bierdusche. Bei der Abfahrt vom Betzenberg wird der Bayern-Bus bespuckt und mit Schlägen traktiert, als er sich seinen Weg durch die Fanmassen bahnt. Im Anschluss an dieses denkwürdige Spiel folgt eine der wohl berühmtesten Hoeneß Aussagen: „Was in Kaiserslautern in der ersten Halbzeit los war, war unerträglich. Die Verantwortlichen beim FCK müssen aufpassen. Wenn sie das nicht in den Griff kriegen, wird das im Chaos enden. Dann braucht sich keiner wundern, wenn irgendwann einmal 5000 Leute auf den Platz rennen. Die Zuschauer benehmen sich teilweise wie Tiere“. Rumms! Mit einem Schlag hatte sich Hoeneß auf der Unbeliebtheitsskala ins unendliche katapultiert. Viele FCK-Fans nehmen ihm vor allem diese Aussage auch heute noch übel. Monate später folgte eine Entschuldigung im Kicker. Hoeneß beteuert, dass die Mehrheit des Lauterer Publikums zweifellos „vernünftige Menschen“ seien.
Wilde Tiere hin oder her. Dieses Spiel und die Reaktionen darauf zeigen eines mal wieder ganz deutlich: In Kaiserslautern wird der Fußball gelebt! Die Fans versuchen alles, um ihren FCK zu unterstützen. Mit ihrer Leidenschaft können sie in gewissen Situationen den Unterschied ausmachen, der über Sieg oder Niederlage entscheidet. Und seien wir mal ehrlich – was wäre der Fußball, vor allem in Kaiserslautern, ohne Emotionen und Leidenschaft?
© Fabian Müller und Sebastian Zobel (2013): 111 Gründe, den 1. FC Kaiserslautern zu lieben. Erschienen bei Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin. 226 Seiten, 9,95 €. Alle Infos gibt es hier und hier.